TEXTE AUS DER SCHREIBWERKSTATT

Blumengespräche

Rosengespräche

 

12.11.21

Eigentlich spreche ich sehr oft mit den Pflanzen. Nicht unbedingt laut. Das ist gar nicht nötig. Es sind die Gedanken, die uns verbinden.

„The last Rose of Summer“ das ist nicht nur der Titel eines irischen Volksliedes. Das ist auch meine Begleiterin am Schreibtisch. Gestern, am Tag des Heiligen Martin hat dich Leonie, meine kleine Enkelin aus dem Garten ins Haus geholt. Lange hat sie deine Blütenblätter befühlt. Du hast es geduldet. Sie hat dich von allen Seiten betrachtet. Du hast es zugelassen ohne sie zu stechen. Ich hatte das erwartet, wollte mich aber nicht in euren Kontakt einmischen. Es war eine so schöne und intime Begegnung. Danke!

Jetzt sehe ich dich also vor mir. War das gestern eine „Rettung“ aus der Kälte in die Wärme des Hauses? Ich bin mir nicht sicher. Das Vergehen deiner Blütenschwestern, das Erstarren ist das nicht eigentlich der Weg, den du erwartet hast? Wie auch immer du das jetzt empfindest. Du hast Leonies Zuneigung gespürt und sollst ab jetzt, solange es du bei mir aushältst meine Aufmerksamkeit und Liebe bekommen. Das Kind hat gestern etwas Interessantes festgestellt. „Am längsten hält sich die Rose, wenn wir sie trocknen.“ Das wollte sie aber keines Falls. Auch von dir kam das klare Signal, dass wir das nicht tun sollten. Wie klar spüren Kinder doch noch die Antworten der Pflanzen und Tiere! Wir sollten diese Fähigkeiten unbedingt fördern. Unsere Welt braucht ganz dringend Menschen, die auf die Natur hören.

Aber zurück zu dir, du schönes Pflanzenwesen. Dein Blütenkopf scheint recht schwer zu sein für den filigranen Stängel, dessen Aufgabe es ist diesen zu tragen. Samtig weich und auch ein bisschen matt sehen deine Blütenblätter aus. Sie schützen die noch zarteren Blättchen und das Innerste, Fortpflanzungsorgane der Blüte. Die Zeit, in der dich die hungrigen Bienen besuchen konnten ist vorbei. Fehlen sie dir? Manchmal stelle ich mir vor, wie es euch Blüten doch kitzeln muss, wenn diese kleinen fleißigen Insekten in euch herumkrabbeln.

-         Ja Klar, das kitzelt. Aber noch ganz anders fühlen sich diese kleinen Tiere an, die ihr Menschen Ohrenschliefer nennt. Sie paaren sich auf uns und legen ihre Eier in unsere Blütenköpfe. Auch wohnen sie manchmal richtig in uns. Wir, deine gelben Rosen sind dafür besonders geeignet, weil wir oft die Köpfe neigen, da unsere Stängel einfach etwas schwach sind. So bieten wir den Kleinen einen guten Schutz. Du hast ja überhaupt keine Ahnung, was wir sonst noch erleben mit den Läusen und anderen Flieglingen. Aber da helfen dann wieder alle zusammen und wie du siehst schaffen wir das gemeinsam. Früher hast du dich manchmal mit Gift eingemischt. Schrecklich! Tu das ja nie wieder! Wie du siehst ist das völlig unnötig.

Eine Geschichte von den Ohrenschliefern muss ich noch loswerden. Manche glauben, sie sind besonders schlau und kriechen in die Wasserleitung, die du nicht so oft benützt. Wenn du dann doch einmal dort deine Gießkanne auffüllst, sehen wir sie wie verrückt zappelnd aus dem Wasserhahn purzeln.

 

16.11.21

Guten Morgen Rose! Wie schwer dein Kopf heute erscheint. Du hast einen „schweren Kopf“. Ha, bei den Menschen würde das etwas ganz anderes bedeuten. Dein Stängel aber trägt tapfer die Last deiner schönen Blüte. Langsam verändern sich deine Blütenblätter, werden immer noch samtiger und matter. Wie symmetrisch deine Laubblätter doch angeordnet sind. Trotz deines Alterns strahlst du Würde aus und zeigst mir gelassen deine fleckigen Blätter. Bei mir sind es Altersflecken auf der Haut, bei dir Anzeichen von einem Pilz. Auch Löcher in deinen Blättern, Fraßspuren von einem Käfer kann ich erkennen. Es ist berührend und auch ein bisschen traurig, dir so beim Altern und Vergehen zuzuschauen.

-         Aber das ist doch normal. Ihr Menschen habt immer gleich ein Problem mit der Vergänglichkeit und dem Sterben. Lernt von uns Pflanzen! Wir sehen das viel gelassener. Schau die Bäume an. Ja, sie sind kahl, haben alles Laub abgeworfen, das sie jetzt nicht mehr brauchen. Das gibt auch eine Leichtigkeit. Luftig und locker steht der Ahorn an meiner Seite. Kein Sturm, keine Schneelast wird ihm schaden. Auch meine Mutterpflanze, der Rosenstock wird bald völlig befreit sein von unnötiger Schwere. Und hast du nicht schon oft im Frühling gestaunt und dich daran gefreut, wie frisch die Natur im neuen Grün erstrahlt. Das eine ist nicht möglich ohne das andere. Lernt von uns. Lernt von den Jahreszeiten. Es ist ein Werden und ein Vergehen.

 

18.11.21

Es sind jetzt zwei Tage seit unserem letzten Gespräch vergangen. Das Altern macht keine Pause. Wenn ich dich aber ganz genau betrachte, zeigst du mir immer noch deine Schönheit. Was ist Schönheit? Ja, ja diese inneren Werte. Warum geben wir Menschen dann viel Geld für Wundermittel aus, um die äußeren Anzeichen des Alterns zu verbergen?

 

20.11.21

Wieder sind zwei Tage vergangen. Vergangen – Vergehen – Vergänglichkeit.

Manche deiner Blätter sind schon trocken, braun. Rascheln schon, wenn ich sie berühre. Auch die Blütenblätter trocknen langsam, obwohl du noch Wasser trinken kannst.

Auf das Foto haben sich zwei Federn eingeschlichen. Symbole der Lust und der Leichtigkeit. Welcher Gegensatz zu deinem Prozess! Aber hast du mich nicht gelehrt das Werden und Vergehen als Einheit zu fühlen?

 

25.11.21

Seit zwei Wochen begleitest du mich jetzt schon. Ich spüre ganz stark den Impuls, das Wasser aus deiner Vase auszuleeren. Verstehe ich dich in diesem Punkt richtig?

-         Ja, bitte tu es. Ich kann das Waser nicht mehr gebrauchen, es nicht mehr aufnehmen. Es könnte mir jetzt eher schaden. Im Moment ist es noch glasklar, weil ich es schaffe, Bakterien im Zaum zu halten. Je weiter aber meine Kräfte nachlassen, umso rascher werden sie sich vermehren. Das ist eigentlich gut so. Auf diese Weise werden meine Zellen aufgeschlossen und gelangen wieder in den großen Kreislauf. Jetzt haben wir uns aber auf eine seltsame weise angefreundet und ich möchte dich noch eine Weile begleiten.

Wie schön du das gesagt hast! Ich habe dir am Beginn unserer Reise versprochen, dir meine Liebe zu schenken. Jetzt spüre ich aber noch viel mehr deine Liebe zu mir.

-         Jetzt werde nicht sentimental! Das ist alles ganz natürlich. Zwei Wesen, die sich auf Augenhöhe begegnen.

Naja, wenn du meinst. Du hast jetzt ganz klar die Führung übernommen und das find ich super spannend. Ich danke dir!

(Jetzt werde ich das Wasser ausleeren)

 

28.11.21

Drei Tage ohne Wasser würde ich vermutlich nicht überleben. Du bist eingetrocknet, aber deine Präsenz ist nicht zu übersehen.  Nachdem die Vase als Wasserbehälter nutzlos geworden ist, werde ich dich zu den anderen Pflanzen legen, die mich seit September begleiten. So, du befindest dich also in Gesellschaft eines Blütenkörbchens der wilden Karotte und eines Stängels und einer Blüte der Engelwurz.

Ich danke euch allen Drei für die Weisheit, die ihr mit mir geteilt habt.

Vielleicht habt ihr euch ja auch viel zu erzählen.

Vielleicht darf ich irgendwann daran teilhaben.

Vielleicht ist unser gemeinsamer Weg hier auch zu Ende.

 

 

Herta Ditz, Tirol