Texte aus der Schreibwerkstatt

Den Dingen lauschen

 

     Ich bin weich und auch ein bisschen fest. Meine Maße sind einem sehr großen Handteller ähnlich. Ich habe 2 verschiedene Seiten, die durch eine Umrandung verbunden und zusammengehalten werden. Ich bin rund und flach. Ich bin ein Kunst-Hand-Werk mit funktioneller Aufgabe, die ich gut erfülle. Eine meiner Seiten ist dicht gewebt, wunderschön, in kräftigen Farben mit deutlichen Kontrasten, die Muster sind durch einen fernen Kontinent inspiriert. Meine andere Seite ist aus Leder, vielleicht Kunstleder - aber auch schön in dieser Schlichtheit. Meine Umrandung ist ein Wunderwerk an gewebten Längs- und Querstreifen, die sich um meine Rundung schmiegen, aber auch den Halt geben. Ich liege nahezu immer auf einem sehr großen Esstisch, nicht alleine, sondern mit 3 Schwestern. Wir sind dann aufeinandergestapelt, jede in ihrer kunstvollen Eigenart und Einzigartigkeit. Obwohl unsere äußere Form und Struktur völlig gleich ist, unterscheiden wir uns doch in Farben und Mustern. Wir werden täglich verwendet und mit nicht zu leichter Aufgabe! Wir müssen uns mit großer Hitze auseinandersetzen, sowie mit Gewicht. Wenn wir nicht zwischen Gefäß und dunklem Esstisch liegen, entsteht ein weißlicher Fleck auf dem Tisch, den unsere Benutzer°innen hässlich finden - aber ehrlich gesagt auch wir! Unsere Schönheit und Funktionalität sichert also auch die Schönheit des Tisches! Es bereitet mir Wohlgefühl, sowohl schön als auch nützlich zu sein und meine Herkunft aus einem fernen Kulturkreis zeigt, dass auch ganz kleine Dinge das Verbindende in unserer Welt repräsentieren können. Ich danke für eure Bereitschaft und Aufmerksamkeit, mir zu lauschen - meine Schwestern und ich fühlen uns dadurch sehr geehrt und wir versprechen, auch weiterhin für einen angenehmen und reibungslosen Ablauf des Alltags das Unsere beizutragen!

Maria E.-S., Graz


     „Hallo, ich bin's, das Schneckenhaus aus dem eckigen Glas im Esszimmer. Heute darf ich endlich wieder einen Ausflug unternehmen, das habe ich nämlich sehr oft und lange Zeit getan, damals, als ich noch im Wald wohnte. Ja, es war ein Wald, wie ich ihn hier wieder riechen kann. Das duftet nach Heimat, und auch die Vögel kann ich hören. Wie damals, als ich noch mit meiner lieben Ludmilla durch den Wald spazierte.  Obwohl wandern der falsche Ausdruck ist. Ich glitt majestätisch durch den Wald. Sanft und geschmeidig, ohne Ruckeln oder abruptes Bremsen wurde ich durch den Wald, durch meine Welt bewegt. Alle blickten auf, als sie mich sahen, dann wussten sie, jetzt kommt Ludmilla, die Königin der Schnecken, die prächtigste Weinbergschnecke unter der alten Buche am Bach. Ich war stolz darauf, ihr Haus sein zu dürfen, denn ich war alles für sie: ihr Schutz vor Wind und Sonne und ganz besonders vor den Igeln. Diese raschelten jede Nacht schmatzend durch das Laub, immer auf der Suche nach leckerem Getier. Meine Ludmilla wäre ein Festtagsbraten für sie gewesen. Dieses Schicksal konnte ich ihr ersparen! Und dann war ich noch ihr Haus, ihr Königspalast, durch mich wurde sie erst sichtbar. Ich war auch die Königskrone, durch die die Tiere und Menschen erst auf sie aufmerksam wurden. Meine wunderschöne weiße Kalkhaut hat auch etwas sehr Vornehmes. Glatt, sanft und innen interessant gewendelt. Keiner kann in mein Inneres sehen, ohne mich zu zerstören. Aber man kann meine innere Schönheit erahnen, mein gewandelter Bau ist auch von außen zu bewundern. Genau wie Marmor, bestehe ich auch aus Kalk, und wenn ihr geschliffenen Marmor einmal genau betrachtet, dann könnt ihr unsere Schönheit erkennen. Die wunderbaren, verschiedenen Formen, Größen und Farben, all meiner Schneckenhauskolleginnen, die bereits im Marmor den ästhetischen Höhepunkt ihres Daseins gefunden haben. Gibt es etwas Erfüllenderes, als ein Schneckenhaus zu sein, das die Wandlung vom königlichen Schloss für eine Weinbergschnecke zu wunderbar glänzendem Marmor durchmachen darf? Nein! Davon träumen alle Schnecken, einmal als Marmor im Schneckenparadies zu landen! Ja, da staunt ihr, stimmt#s?  Auch ich haben diesen Traum geträumt, als  mich Ludmilla noch durch den Wald trug, sieben Winter und Sommer hat sich mich als Schloss bewohnt, dann ist sie leider eines Morgens nicht mehr zur Audienz erschienen. Das war furchtbar, kann ich Euch sagen! Denn die Stelle im Wald  war so nass und ganz nahe am Bach, und Ludmilla konnte mich nicht mehr in Sicherheit bringen, hinauf auf die Böschung, zu ihrem vermoderten Lieblingsbaumstamm, als es nicht mehr zu regnen  aufhörte. Der Bach stieg immer höher und riss mich schließlich mit. Das war vielleicht aufregend! Ich schaukelte am Wasser hin und her, stieß unmajestätisch gegen viele große und kleine Steine. Von so einem Zusammenprall stammt auch der Sprung an meiner Seite.

Meine Ludmilla, oder besser ihre sterblichen Überreste wurden während dieser Flussfahrt dem Wasser übergeben und ich blieb verlassen und hohl zurück.

Das war am Anfang sehr ungewohnt für mich, vor allem die Töne, die plötzlich aus mir zu hören waren, als kleine Käfer in mich hinein krabbelten. Einmal, da gab eine Grille sogar ein Konzert in mir. Die schönste Musik aber war die des Regens, wenn er auf mich herab trommelte. Ich konnte bald an den unterschiedlichen Tönen des Regens die Tropfengrößen, die verschiedenen Aufprallgeschwindigkeiten und Regenarten unterscheiden. Dieses Leben war wunderschön, und gar nicht so einsam, wie ich es anfänglich befürchtet hatte. Viele Insekten suchten Schutz in mir, bis eine kleine Hand mich aufhob und „Mama, schau mal!“ rief. Dann wurde es dunkel und sehr eng um mich herum.  Ich steckte mit anderen Schneckenhäusern, Steinchen und einem rostigen Nagel zusammengepfercht in einem Hosensack fest.

 Den Rest der Geschichte kennt ihr schon. Seitdem ziere ich als Inhalt eines eckigen Glases das Esszimmer der kleinen Hand und seiner Familie und freue mich riesig, heute von einer großen Hand zu einem Ausflug mitgenommen zu werden.“

Lilli S., Wartberg


Mich gibt es schon seit zweiunddreißig Jahren und ich habe mich erstaunlich gut gehalten. Ich bin keinesfalls zufällig entstanden, denn meine Erzeugerin wollte schon immer mit Ton arbeiten und etwas Handwerkliches ausprobieren. Zuvor war sie viel gereist und bewunderte in südlichen Ländern unter anderem die herrlichen Tongefäße und Blumentöpfe.

Sie belegte einen Töpferkurs und erlernte in kurzer Zeit das Arbeiten mit Ton. Vom Anfang an ging es mir sehr gut, denn die Kursleiterin ging auf die Ideen meiner Gestalterin geduldig ein. Mit viel Liebe wurde aus weißem Ton ein stabiler, mittelgroßer Blumenübertopf und ich nahm an schöner Form und Gestalt zu. Ich sollte ein besonderer Topf mit einer schlichten Verzierung werden. Eine einzige Blume mit Ähnlichkeit zu einer Nelke wurde auf mir gezeichnet. Mit großer Hilfe der Kursleiterin verzierte man meine Nelke mit Blattgold und ich strahle immer noch. Meine Ausdauer beim Trocknen und Verzieren hat sich gelohnt, denn meine Besitzerin war so begeistert, als sie mich dann nach Hause nehmen durfte. Ich bekam einen schönen Platz in der Küche und wurde oft bewundert. Am Schönsten ist es aber, dass ich vielen Blumenstöcken Schutz beim Blühen und Gedeihen bieten kann.

Ich erlebte auch schwierige Zeiten und durfte vor rund 12 Jahren mit meiner Töpferin übersiedeln, wo ich im wahrsten Sinne des Wortes wieder aufblühte.

Margarete S., Salzburg


Joe Cool

Ich weiß nicht genau, wie alt ich bin. Es müssen schon einige Jahrzehnte sein. Gibt es das überhaupt, dass man nicht mehr erinnert, wann man in die Welt kam? Mein Name ist „Joe Cool“. So steht es zumindest auf meinem roten Pullover. Seit es mich gibt, trage ich eine große, schwarze Sonnenbrille. Wieso ist sie schwarz? Wer denkt sich denn so etwas aus?

Vielleicht denkst Du jetzt, ich könnte die Sonnenbrille doch einfach abnehmen. Naja, wenn es so einfach wäre! Schon oft habe ich überlegt, wie ich sie loswerden könnte. Aber es gibt keine Lösung. Mir müsste schon jemand helfen -und was wäre, wenn ich dann erst recht nichts sehen könnte? Also lasse ich sie lieber auf.

So, wie ich da stehe, mit meinem roten Pullover, der schwarzen Sonnenbrille und dem angedeuteten Grinsen, lieben mich Millionen Menschen. Tatsache, das ist so! Eigentlich habe ich noch einige Gefährten, aber sie sind alle nicht hier bei mir.

Seit vielen Jahren lebe ich in dieser Wohnung, immer an verschiedenen Plätzen. Lange war die Küche mein Zuhause. Seit einer Weile wurde ich in das Arbeitszimmer umgesiedelt. Hier gefällt es mir richtig gut. Von meinem Platz aus habe ich viel Tageslicht und kann in den Himmel schauen. Heute ist er blau, strahlend blau und die Sonne scheint. Es ist Frühling und die Temperaturen sind schon wie im Sommer. Wie gut also, dass ich meine Sonnenbrille trage, die mich schützen wird.

Ich kriege alles mit, was in diesem Zimmer geschieht. Wer kommt, wer geht, was gesprochen oder getan wird. Manchmal ist das kleine Mädchen zu Besuch, das dann hier auf der Couch übernachtet, umgeben von ihren mitgebrachten Kuscheltieren. Ihre Tante liest ihr Geschichten zum Einschlafen vor. Manchmal üben die beiden Englisch, das macht dem Mädchen richtig Spaß. Sie fühlt sich hier sehr wohl, das spüre ich. Mich hat sie bisher noch nicht beachtet. Ich glaube, sie weiß gar nichts von meiner Existenz und selbst wenn sie mich sehen könnte, würde sie mich nicht erkennen. Dazu ist sie zu jung.

Sie heißt Ramona, das habe ich mitbekommen. Das Mädchen gefällt mir. Wir haben einiges gemeinsam: die Gelassenheit, das Selbstbewusstsein, die Abenteuerlust. Sie ist eine kleine Philosophin. Genau wie ich macht sie sich viele Gedanken über die Welt um sie herum und stellt sich viele Fragen, z. B.: Wie groß ist das Universum wirklich? Gibt es Leben außerhalb der Erde? (Natürlich gibt es das, denkt sie. Warum sollte die Erde der einzige Planet mit Lebewesen sein?) Gibt es einen Gott? (Nein, das glaubt sie nicht, aber sie denkt, dass es eine Kraft im Universum gibt). Ich freue mich immer, wenn sie da ist.

Überhaupt mache ich mir viele Gedanken über dieses und jenes. Ich bin in China geboren. Warum ausgerechnet in China? Wahrscheinlich wurde ich mit Millionen anderen in einen Container geschoben, der mich nach Deutschland brachte. Wenn ich darüber nachdenke, was das alles bedeutet, wird mir ganz schwindelig. Wer weiß, wie es den vielen anderen geht, die mit mir zusammen hier herkamen. Ob sie überhaupt noch am Leben sind? Oder wurden sie bereits verschenkt, verkauft oder vollständig zerstört? Denn so sind die Menschen, das habe ich in meinem Leben gelernt: Sie wissen kaum etwas wirklich zu schätzen. Und sie denken einfach nicht nach, was ihr Tun für diesen Planeten bedeutet, der ihnen wirklich alles gibt, was sie brauchen.

Ich bin gespannt, wie es ausgeht für die Menschen und für Wesen wie mich – wer stirbt zuerst aus?

Rihab D., Offenbach am Main, Deutschland