AUS DER SCHREIBWERKSTATT

Regen

WASSERGESPRÄCHE

 

Der Inn

Eine kleine Sandbucht. Meine kleine Sandbucht. Ich war früher oft dort. Am Morgen glitzert die Wasseroberfläche golden. Im Moment fließt der Inn ganz ruhig dahin. Am Ufer bilden sich kleine Wellen. Sand, Wellen… Wenn ich quasi hineinzoome und mir das Bild größer denke, ist es wie am Meer. Auswaschungen am Ufer, kleine Nebenarme - alles verändert sich. Das stille Fließen ist mächtig. Kaum merkbare Strudel bilden sich. Für Rindenschiffchen hübsch, für Menschen gefährlich.

Inn, du bist mir schon immer sehr vertraut. Ich habe fast immer in deiner Nähe gewohnt. Als Kind durfte ich schon an deinen Ufern spielen. Ich habe es geliebt. Spaziergänge am Inn, reiten am Inn. Du warst und bist immer da. Trotzdem veränderst du dich in jedem Augenblick. Auch ich habe mich verändert. Nicht so schnell wie du, aber doch. Faszinierender Gedanke. Bei keiner unserer Begegnungen sind wir die Selben. Ich bin Ich. Du bist Du. Und doch haben sich unsere Moleküle, unsere Zellen, unsere Gedanken und Erfahrungen verändert. Ja, ich bin sicher, dass auch du dir Gedanken machst. Anders halt, als ich es mir vorstellen kann. Erfahrungen machst du sowieso. Die Menschen reagieren auf dich. Lieben, achten, zerstören, verschmutzen, säubern, überqueren und befahren dich. Für manche Lebewesen bringst du auch den Tod. Unfälle, Überschwemmungen, Suizide. Es ist aber nicht deine Schuld. Du bist einfach da. Und du warst schon viel früher da als die Menschen.

Ich sitze jetzt aber hier in diesem Moment. So unendlich dankbar für deine Schönheit und Milde. Du bist Wasser. Du bist Leben. Du zeigst mir, wie es ist „im Fluss“ zu sein.

 

Das Schwimmbad

Edelstahlbecken. Fünfzig Meter in der Länge. Es ist ein trüber Tag. Zum Glück ist das Schwimmbad trotzdem geöffnet. Das Becken ist leer, menschenleer. Windstille, spiegelglatte Wasseroberfläche. Ich steige hinein und mache die ersten Schwimmbewegungen. Jetzt wird mir bewusst, dass ich es bin, die jedem einzelnen Wassertropfen einen Impuls verleiht. Kleine Wellen entstehen. Die Bewegung setzt sich fort bis in die letzte Ecke des Beckens. Wie machtvoll, wie berührend! Ich, kleiner Mensch beeinflusse Millionen von Wassermolekülen. Mir wird klar vor Augen geführt, welche Auswirkungen das Handeln jedes Einzelnen von uns hat. Wir sind alle verbunden und alles wirkt sich auf die Gesamtheit aus. Ein unglaublich mächtiges Bild. Erschreckend und tröstlich zugleich. Ich kann es noch nicht ganz fassen.

 

Die Regentonne

Du dickes Ding. Kunststoff, grün. Wölbst dich an den Seiten unter dem Druck deines Inhalts. Ich mag dein Wasser. Es ist lauwarm und weich. Im Frühling machst du uns manchmal Probleme, wenn du nicht dicht bist. Entschuldige, ich weiß dass es nicht deine Schuld ist. Trotzdem ärgere ich mich dann. Aber jetzt im Sommer stehst du da in deiner ganzen Größe. Du sammelst für uns den kostbaren Regen, der dir über die Dachrinne zugeführt wird. Wenn ich genau schaue, sehe ich die kleinen Mückenlarven unter deiner Wasseroberfläche. Früher habe ich dich dann entleert, um die Larven zu töten. Seit heuer darfst du sie behalten. Unsere Vögel und Fledermäuse sorgen für ein gutes Gleichgewicht und ich werde trotzdem nicht öfter gestochen. Wenn ich dich so betrachte, scheinst du zu lächeln und bist zufrieden damit.

 

 

Die Lacke

Sind die Schuhe wasserdicht? Ja dann los! Die Lacke besitzt eine magische Anziehungskraft (nicht nur für Kinder). Durchlaufen, hineinspringen, dass es bis zur Jacke spritzt. Zum Glück gibt es zu Hause trockene Hosen.

Eine ganz dünne Eisschicht auf deine Oberfläche. Das Erstarren des Wassers zeichnet bizarre geometrische Muster, lange Kristalle. Es ist so wunderschön und gleichzeitig vergänglich. Wenn die Sonne deine Eishaut wärmt schmilzt sie dahin, ist dann spurlos verschwunden. Ich denke an das Knacken, an das Gefühl wenn ich mit meinen Füßen…

Unwiderstehliche Versuchung.

Doch es ist Sommer. Diese Träumerei trägt mich fort. Gestern hat es geregnet. Dein Wasser ist klar und sauber. Manche deiner Lackengeschwister arten ja manchmal aus in richtige kleine Tümpel und sind dann schlammig und nährstoffreich. Du bist morgen vermutlich verschwunden, verdunstet. Eine vergängliche Schönheit. Vielleicht kann heute noch ein Vogel oder ein Insekt aus dir trinken.

 

Herta Ditz, Flaurling, Tirol