TEXTE AUS DER SCHREIBWERKSTATT

Reisen

EINE REISE

im Juli 2021

 

Ich reise einfach mal los. In meiner Fantasie, in meinem Kopf. Oder doch aus dem Bauch heraus? Ich reise zu Nimue. Nimue, die Hüterin des Wassers. Ein großer See liegt vor mir. Ich tauche ein und begegne dir. Groß, liebevoll und doch streng gleitest du vor mir her. Du lockst mich. Wohin soll ich dir folgen? Immer weiter, immer tiefer folge ich dir. Du bist wunderschön. Eine fließende Gestalt. Fast durchsichtig und trotzdem spüre ich deine Kraft. Ich fühle mich von dir behütet und beschützt. Du zeigst mir einen großen Kristall. Riesig eigentlich. Rosarot. Komisch, hier unter Wasser einen rosa Kristall zu entdecken. Mir wird jetzt bewusst, dass du noch kein Wort gesprochen hast. Wie solltest du auch unter Wasser. Trotzdem wäre es ganz logisch, mich mit dir zu unterhalten. Ich habe das Gefühl, dass ich dich schon ewig kenne. Eine Schwester, eine Mutter, eine Vertraute, eine Freundin. Das alles spüre ich in dir. Du lachst. Meine Verwunderung darüber scheint dich zu amüsieren. „Ich bin Nimue, die Hüterin des Wassers. Wir sind verbunden. Wir sind Eins. Alle sind wir doch eigentlich Eins. Du hast die Archetypin der Hüterin in dir. Jetzt siehst du dich in mir.“ Wie wundervoll das klingt. Eine Vorstellung, ein Gedanke so wertvoll und überraschend wie der rosarote Kristall unter Wasser.

Ich bin also zu mir selbst gereist. Die spannendste Reise, die man sich nur vorstellen kann. Ich stehe mir selbst, meinem Selbst gegenüber. Schön, mutig, kraftvoll, klug und voller Liebe zu mir und allen Wesen.

 

Herta Ditz, Flaurling, Tirol


„Reisen – die wahren Abenteuer“

 

15 Minuten

 

Die Raku-Teeschale in ihrer meisterhaft gestalteten Schönheit zieht meine Blicke magisch an. Gefüllt mit einem undurchsichtig grünen Teegebräu wird sie mir formvollendet in weichen, ruhigen Bewegungen von schmalen Frauenhänden gereicht. Die milde lächelnde Frau mit ihrem von glattem, schwarzen Haar eingerahmten Gesicht und den Mandelaugen ist Sumie. Vor sehr langer Zeit begegnete ich ihr in einer anderen Welt. Wie kommt es nur, dass sich ihr Äußeres in all den Jahren nicht verändert hat? Und – wie bin ich hierhergekommen?

 

Alles strahlt eine unendliche Ruhe aus. Ich halte meine Augen geschlossen – möchte, dass es so bleibt. Und dann erkenne ich einen wunderschönen Garten mit einem Teich. Pinkfarbene und weiße Seerosen und Lotusblüten schwimmen darauf und immer wieder zeigt sich ein dicker orange-weiß-schwarz gemusterter Fisch an der Oberfläche. Schnell taucht er wieder hinab in die Tiefe, deren Grund ich nur erahnen kann. Er hat mich erkannt, da bin ich mir sicher. Als er wieder auftaucht öffnet er sein Maul, als spräche er zu mir: „Schön, dass du hier bist!“ Wieder gelingt es mir nicht, herauszufinden, wie ich hierhergekommen bin. Reisen ist doch momentan nicht möglich! Nein, ich werde meine Augen nicht öffnen. Sumie fordert mich mit ihren Blicken und einer Geste auf, den Tee zu kosten. Er schmeckt sehr bitter. Seltsam. Ah, jetzt weiß ich es, es ist eine Teezeremonie. Ein kleines Stück süßer Bohnenpaste vertreibt den Geschmack. Japan – wunderschönes Land, mystisch, undurchdringlich seine Menschen, einzigartig die Rituale, die Tempel und traditionellen Häuser. All das sehe ich genau vor mir.

 

Von fern erklingt der weiche Ton einer Klangschale. Meine Lider öffnen sich. Nur sehr langsam finde ich zurück. Zurück in diesen Raum, in dem mir eine besondere Meditation gelungen ist. Die Uhr zeigt, es war eine phantastische Reise, die nicht länger als 15 Minuten dauerte und doch eine bleibende Erinnerung und ein Lächeln auf mein Gesicht gezaubert hat.

© Margit Gelhard 08/2021