ZEITREISE

 

Stell dir vor, ich habe jetzt tatsächlich eine gute Fee getroffen. Im Wald, ganz in meiner Nähe. Ihr Aussehen, ihre Erscheinung war ganz anders als ich es mir vorgestellt hatte. Sie war eher klein und pummelig. Ihr weißes Haar hatte sie zu einem Knoten hochgesteckt und auf ihrer Nase saß eine kleine runde Brille. Das Schönste an ihr war aber ihr Lächeln. Ich hatte das Gefühl, in dieses liebevolle Lächeln hineinzufallen. Das ist mir dann auch irgendwie passiert. Jedenfalls fehlt mir für den Rest der Geschichte jede vernünftige Erklärung.

Sie bot mir an, mich auf eine Zeitreise zu begleiten. Ob ich denn lieber in die Vergangenheit oder in die Zukunft reisen wolle? Spontan entschied ich mich für die Zukunft. Die Vergangenheit habe ich ja sowieso „im Gepäck“. Wie weit in die Zukunft? Ich wollte kein fixes Jahr vorschlagen. Ich wünschte mir zu einem Zeitpunkt zu reisen, an dem quasi alles gut ist. Die jetzigen Probleme der Menschheit sollten überwunden sein.

Eine kurze Irritation zeichnete sich auf dem Gesicht der guten Fee ab. Dann aber meinte sie: „Also gut. So weit bin ich selbst noch nicht gereist. Es soll mir aber recht sein.“ Du denkst jetzt, sie hat mich bei der Hand genommen? Nein. Es war ein seltsames Gefühl. Sie hat mich richtig fest an sich gedrückt und…. Wir sind auf einem Trampolin gelandet. (Dazwischen habe ich nichts mitbekommen.) Wenn sie mich nicht so fest umklammert hätte, wäre ich sicher weggespeckt, wegkatapultiert worden.

Über die Jahreszahl kann ich dir nichts sagen. Aber es war so ungewöhnlich! Das Energieproblem gab es nicht mehr. Fortbewegung funktionierte mittels der Trampoline. Die Menschen, die übrigens alle recht klein waren, hüpften ein paarmal auf und ab und schon konnten sie mit diesem Schwung ihr Ziel erreichen. Auch weit entfernte Orte konnten sie so erreichen. Die Energie, die sie zum Kochen oder für sonst was brauchten, erzeugten sie durch Lachen. Menschen trafen sich und setzten sich in einen Kreis. Sobald einer begann – ha ha, ho ho – ha ha, ho ho -, mussten alle herzhaft und laut lachen. Diese Lachenergie sammelten sie in einem Spiegel, der die Energie speicherte und sogar verdoppeln konnte.

Nahrung war einfach für jeden vorhanden. Die Pflanzen schenkten sich gleichsam von selbst. Tiere aß man ohnehin schon lange nicht mehr. Die Menschen schienen nichts zu „müssen“. Sie waren dennoch alle sehr geschäftig, machten dies und das. Bauten und verschönerten Häuser, musizierten, lasen, dichteten, versorgten ihre Pflanzen und Tiere, spielten mit ihren Kindern und übten seltsame Sportarten, die ich noch nie gesehen hatte. Ich kam aus dem Staunen nicht heraus und schaute meiner Begleiterin fragend in die Augen. „Kind, diese Menschen leben einfach und sie leben einfach. Man wird dieses Zeitalter, das zum Anthropozän gehört, auch Pulchravitazän nennen. Du hast jetzt genug gesehen. Ich kann den Kanal für unsere Rückkehr nicht länger offenhalten.“

 

Ich war total überwältigt von den Eindrücken in dieser Zukunft. Unserer überstürzten Rückreise konnte ich nicht viel Gutes abgewinnen. Ein Verbleiben in diesem Zeitalter wäre nur allzu verlockend gewesen. Trotzdem bin ich der guten Fee überaus dankbar für diese einzigartige Möglichkeit. Und wenn ich dortgeblieben wäre, hätte ich dir meine Geschichte auch nicht erzählen können.

Herta Ditz